Valeska Grisebach über MEIN STERN (DE, 2001).


Gespräch geführt am 11.01.18 im dffb-Kino.

Valeska, danke, dass du da bist. Erstmal ein paar Fakten zu dir: 1968 in Bremen geboren, dann in Berlin groß geworden. Germanistik und Philosophie studiert in Berlin, München und Wien - auch abgeschlossen?

Nein.

 

... um 1993 an der Filmakademie in Wien anzufangen. Und dann - wenn ich richtig informiert bin - als Gast an der dffb gewesen?

Inoffiziell, ich habe mich hier so richtig rein geschummelt.

 

(lacht) Okay. Und 2001 mit MEIN STERN abgeschlossen. Seitdem zwei weitere Langspielfilme gedreht, SEHNSUCHT und WESTERN. Und dann auch NARBEN, eine Doku. Was mich jetzt an MEIN STERN interessieren würde, ist vor allem diese Schnittstelle zwischen Fiktion und Dokumentarfilm, weil du hast ja auch während deines Studiums an der Filmakademie Wien größtenteils Dokus gemacht hast, oder?

Eigentlich nicht. Ich habe auch ganz viele, also einige, fiktionale Kurzfilme gedreht, die ich aber zum größten Teil nicht abgeschlossen habe. Und dann aus einer Krise heraus habe ich angefangen, Dokumentarfilme zu machen und das wiederum ein bisschen aus einer Such-Bewegung Richtung Spielfilm.

 

Wie bist du denn auf dieses Thema gekommen? War das etwas, was schon länger in dir geschlummert hat oder ist das relativ abrupt gekommen?

Es war so eine Mischung. Ich hatte Lust auf eine Liebesgeschichte, aber was ich wusste war, dass ich gerne Themen, die im Rahmen einer Liebesgeschichte vorkommen können gerne mit ganz jungen Jugendlichen oder Kindern inszenieren wollte. Und dann war es so, dass ich dachte, dass es schön wäre, wenn es so eine Wohnung gibt oder einen Ort, der auch zum Teil abends ohne Eltern ist, wo dieser Junge oder das Mädchen eben diese Choreographie einer Liebesgeschichte ausprobieren oder da so reinspazieren, aber dann plötzlich auch mit widersprüchlichen Situationen zu tun haben. Und gleichzeitig wusste ich auch – ich habe halt in Wien studiert – ich will nach Berlin und wollte gerne zuhause einen Film drehen, an einem Ort, wo ich manche Dinge intuitiv verstehe. Und dann hatte sich Berlin sehr verändert. Ich bin in West-Berlin groß geworden – nach Berlin zurück zu kommen war gleichzeitig auch eine Wiederkehr in eine sehr veränderte Stadt

 

Was war denn anders?

Na Mitte zum Beispiel. Also plötzlich ist einfach noch eine zweite Hälfte dazu gekommen, die ich zwar vorher, als ich in München und Wien war, eigentlich nur als Besucherin kennen gelernt habe. Und ich bin dann auch direkt nach Mitte gezogen, das war für mich dann auch ein neuer Bezirk – und ich habe dann auch erstmal überall, wenn ich unterwegs war, angefangen zu casten und bin dann schnell auch in meiner Nachbarschaft, in Mitte, stecken geblieben. Das andere Ding war, dass ich einfach das Gefühl hatte, jetzt bin ich bald fertig mit dieser Filmhochschule und jetzt muss ich endlich mal was ausprobieren, was ich eigentlich schon länger gerne ausprobieren wollte. Und zwar eine Arbeitsweise, in der ich auch dokumentarische Strategien benutze, für einen Spielfilm.

 

Es war also von Anfang an klar für dich, dass das ein Spielfilm wird?

Ja.

 

Man hätte ja auch sagen können: Ich mache eine Doku über diese Jugendlichen. Aber du hast dich für die Fiktion entschieden. Warum? Was ist der Mehrwert der Fiktion?

Ähm. (lacht). Ich könnte jetzt gar nicht sagen, was da der Mehrwert ist. Ich war ganz klar interessiert, mit einem fiktionalen Setting raus zu gehen, diese Jugendlichen zu treffen und mit denen dann in diese Geschichte hinein zu gehen. Und auch diese Form und der Kontrast zwischen Fiktion und dem dokumentarischen Gefühl. Es war für mich wichtig mit diesem Film auszuprobieren, wie das funktionieren könnte.

 

Du hast mal gesagt: „Ein Film, der künstlich hergestellte Wirklichkeit atmet.“

(lacht) Das wurde wohl noch ein bisschen bearbeitet.

 

Mich würde interessieren, was ist „wirklich“ und was ist „künstlich“. Angefangen mit dem Drehbuch, wie arbeitest du da? Gibt es ein Drehbuch und dann suchst du dir die Leute dazu oder läuft das anders?

Also ich meine, ich habe eh immer das Gefühl, dass es diese Schnittstelle gibt – inwieweit kann man Material eben auch kontrollieren. Ich habe immer eine Idee oder eine Absicht, aber trotzdem gibt es natürlich immer auch, wenn man Material herstellt einen Moment von Kontrollverlust und das kann man sicher auch unterschiedlich ausbalancieren. Ich finde auch Material, was sehr authentisch wirkt, ist dann ja oft auch künstlich hergestellt. Und dann gibt es auch die Frage, welche Wirkung möchte man erzielen. Mich interessiert die Wirkung, die oft auch dokumentarisch wirkt, weil das auch sicherlich etwas ist, was mich berührt. Also auch, was Filmmaterial alles aufnehmen kann – Licht, Gesichter... einfach dieser Moment außerhalb einer Narration. Und das dann immer wieder im Kontrast zu einer Erzählung, die sich auch als Erzählung zeigt, die auch sagt: Hier, das ist eine Erzählung, eine Konstruktion oder eine Frage. In diesem Falle war das Drehbuch auch kein klassisches Drehbuch, sondern ein Treatment – und ich glaube wichtig in der Vermittlung mit dem Team war dann auch, dass sich die Konstruktion der Geschichte zeigt, dass man merkt, auf welchen Säulen steht das, worin bewegt man sich. Und dass man vermittelt, was man während des Drehs so sucht. Da gibt es immer wieder Dialoge, die sind dann ganz geschrieben und dann ist es natürlich wichtig, dass die auch so funktionieren. Und dann gibt es Szenen, in denen so Stellvertreter-Text entsteht, in denen es immer wieder um Subtexte geht. Und wie bebildert man die dann? Wie importiert man dann den Subtext in Bezug auf das Ganze? Ich habe einmal bei einem Film den Fehler gemacht, dass Schauspieler gesagt haben: "Bitte, bitte, bitte gib uns den Dialog!". Und dann habe ich ihn einmal rausgegeben und dann haben sie ihn ganz brav auswendig gelernt. Eigentlich ist es für mich selbst aber auch ein Improvisationsmoment, den Dialog zur Seite zu legen und die Geschichte zu erzählen. Dann kommt auch immer wieder dieser Moment, dass man sich gemeinsam erinnern muss an den Dialog und wie die Szene funktioniert. Und in dieser Interaktion entsteht das dann.

 

Es gibt ja erstmal dieses fremde Milieu – ich meine, ja, wir waren alle mal fünfzehn, aber es ist trotzdem ein Milieu, was nicht deins ist – wie funktioniert dieser Aneignungsprozess? Wie kommst du dem näher? Zum Beispiel beim Casting? Bist du dann im Park und schaust dir Leute an?

(lacht) Genau, ich bin im Park... oh ich war schon in vielen Parks. Und auf vielen Dorffesten. Bei diesem Film war es jetzt erstmal so, dass wenn ich in Berlin unterwegs war und jemanden gesehen habe, ich die Leute angesprochen habe und gefragt habe, ob wir uns verabreden können zu einem Casting. Nicole [Nicole Gläser, die Hauptdarstellerin von MEIN STERN] habe ich relativ früh kennen gelernt und fand die sofort einfach toll (lacht). Sie hat dann einem irrsinnigen Proben- und Casting-Prozess durchlaufen, es war immer noch Spannung drin, bis zu dem Moment, wo wir dann gesagt haben: Wir machen das jetzt. Ich bin aber relativ schnell bei ihr und ihren Freunden hängen geblieben. Das war letztendlich zwei Straßen weiter von mir, da Auguststraße, Ecke Hamburger, in diesen Plattenbauten. Die wohnen da jetzt aber alle nicht mehr. Es hat sich zumindest alles innerhalb von vier Blocks in meinem Bezirk abgespielt, das war natürlich auch toll, diesen Bezirk dadurch kennen zu lernen.

 

Nicole und die anderen Darsteller kennen sich tatsächlich?

Nicht alle. Es war immer schon geschrieben, dass sie Schwestern hat, dann hatte sie halt wirklich Schwestern. Ich fand diese drei Schwestern einfach auch irre. Die Mutter ist wieder jemand anderes, sie wurde dazu gecastet. Bei den Jugendlichen kennen sich eigentlich die meisten. Es gibt aber auch hier Darsteller die dazu gecastet wurden.

 

Nicole und Christopher waren doch tatsächlich mal ein Paar?

Genau, das war aber eher so ein Hinkefuß. Es war erst ein anderer Junge besetzt, einer aus Kreuzberg. Ein sehr schöner Junge, er hatte etwas von einem jungen David Bowie. Also ganz anders. Es war immer die Frage: "Soll Christopher schön sein?". Also so quasi Königskinder - jedoch hat mich auch immer das Normale interessiert. Also hatte ich auch noch einen anderen Jungen. Aber ich habe mich dann kurzfristig für den Schönen entschieden. Ich wusste aber nie genau wie viele Drogen konsumierte. Als wir dann wirklich angefangen haben Klartext zu sprechen, ist er verschwunden. Dann habe ich mich da noch ziemlich ins Zeugs gelegt. Es gab den klassischen Moment, wo man Jemanden verliert und dann denkt, der muss es sein. Das hat dann auch zu absurden Situationen geführt. Dann wurde aber klar, dass es nicht läuft. Dann bin ich wieder zu Schöps und dachte das geht nicht, das geht nicht, die waren ein Paar. Dann haben wir das mit allen besprochen, mit ihnen, mit ihren Eltern. Kriegen wir das hin? Dann haben wir es gemacht. Es war aber trotzdem immer wieder mit ziemlichem Herzklopfen.

 

Zum Beispiel so eine Sexszene zwischen denen. Wie inszeniert man das? Wie bist du da vorgegangen?

Sehr gymnastisch an der Stelle. Die hatten noch nie miteinander geschlafen, es war daher auch einfach etwas komisch und dann haben wir an der Stelle einfach versucht Humor reinzubringen und auch relativ zügig zu sein.

 

Du hast gerade erwähnt, dass dich das Alltägliche interessiert hat. Man hätte sich ja genauso gut, wie bei KIDS [R: Larry Clark, USA, 1995] für Drogen oder Aids oder sowas entscheiden können. 

Ich fand es immer interessant an den Gesprächen mit den jungen Darstellern, dass ihre Aussagen vielleicht in zwei Jahren nochmal komplett anders sein könnten. Ich möchte diese Probleme nicht spießig nennen, aber Träume wie: "Wenn ich groß bin, habe ich eine Wohnung, einen Mann oder Frau und ein Kind" - diese Vorstellung von dieser Zukunft, dieser Liebe fand ich sehr konservativ oder konventionell. Ich hatte aber das Gefühl, dass die Träume zwei Jahre später vielleicht wieder anders sind und sich die auch nochmal verändern. Das fand ich aber auch so interessant, aus welchen Bildern speist sich die Idee von Zusammensein oder Glück.

 

Aber dieses Konservative von den Kindern, was da immer wieder durchsickert, ist das was tatsächlich von denen kam?

Es hat sich gut getroffen. Ich hatte danach dann auch gesucht, aber es gab schon Parallelen.

 

Dann hattest du auch mal gesagt, wegen Generationen und 2001, dass es dir auch recht wichtig war keinen Film zu machen über Jugendliche im Jahre 2001, sondern eher was Zeitloseres. Aber wenn man sich den Film jetzt anschaut, ist er natürlich schon recht stark in der Zeit verankert. Das lässt sich nicht vermeiden?

Das läuft sowieso mit, aber ich dachte, dass es gut wäre für den Film zeitgeistige Situationen zu vermeiden.

 

Wenn du heute einen Film über 15-jährige machen würdest, glaubst du er wäre total anders? Oder was wäre anders?

Er wäre bestimmt anders. Weil mich auch etwas Anderes interessieren würde. Du meinst auch in Bezug auf die Zeit?

 

Genau.

Weiß ich nicht. Ich habe gemerkt, dass ich so ein Widerstreben hatte, dass Handys in meinem Film vorkommen. Abgesehen, dass ich bis jetzt noch nicht so viele Filme gemacht hab, aber ich glaube ich wäre jetzt bereit für einen Film mit Handys (lacht).

 

Ich würde gerne nochmal auf die Kamera eingehen. Bernhard Keller heißt der Kameramann, mit dem du alle deine Filme gemacht hast?

Ja.

 

Ich finde es ist ein ganz interessanter Kontrast: Das Alltägliche, das in den Figuren ist und eine sehr gesetzte Kamera. Und sehr statisch und lange Einstellungen. Wie habt ihr euch im Vorfeld abgesprochen? Wie schafft man es, in so statischen Einstellungen das Flüchtige in den Frame zu bringen?

Das hat Bernhard und mich auch total beschäftigt. Immer wieder.  Manchmal, wenn ich über Film nachdenke gibt es auch so Sehnsuchtsmomente zu MEIN STERN. Auch aus diesem Moment der Materialknappheit. Wie die Geschichte vielleicht auch gebaut war, dass es immer auch darum ging diesen einen Moment zu finden innerhalb einer Szene. Letztlich auch um eine Form der Reduktion. Manchmal habe ich fast so ein bisschen Sehnsucht danach. Weil man jetzt sonst immer üppigere, größer Szenen aufstellt, dass ich im Moment der Konzentration denke, was ist denn jetzt eigentlich der wesentliche Moment dieser Szene für die ganze Geschichte? Und immer wieder zu sehen, wie weit kann man das reduzieren, auf diesen einen Moment. Auf der anderen Seite hat Bernhard und mich bei allen Filmen beschäftigt: Dieses Verhältnis von wir sind jetzt hier statisch und jetzt passiert da alles Mögliche und wir stehen da wie die Dödels und wissen irgendwie nicht, was jetzt hier im Verhältnis zueinandersteht. Wir haben im anderen Film auch Versuche gemacht diese Kamera irgendwie in Bewegung zu bekommen. Da war es einmal die Zusammenarbeit von Schauspielern und uns, diesen Moment halt irgendwie zu kreieren. Manchmal hat es auch ewig lange gedauert, bis es funktioniert hat und dann gab es auch echte Geschenke. Zum Beispiel diese eine Szene wo Schöps am Ende da nochmal zum Abendessen da ist und die war für mich immer so überraschend, dass ich gesagt habe: „Wow, wie die sich jetzt plötzlich so aufgestellt hat“. Und das ist auch nochmal Zeitdruck, das Licht ist vielleicht gleich weg, einmal durchgesprochen. Das kennt ihr wahrscheinlich auch, da entsteht diese Energie von: "Das muss jetzt hier passieren." Alle fühlen sich verantwortlich und dann war die Szene halt plötzlich so da. Aber das ist manchmal auch echt mühsam.

 

Wie gesagt, manchmal geht das Licht weg und manchmal hat man nicht genügend Material - wie viel Takes habt ihr denn gemacht im Schnitt? Es wirkt immer alles so, als würde es jetzt gerade passieren und dann nie wieder.

Wir hatten da nicht so viel Material, es hat sich wahrscheinlich schon zwischen drei und zehn Takes abgespielt. Und sicherlich gab es auch mal 15 Takes. Ich glaube das Drehverhältnis war ungefähr 1:5.

 

Vielleicht noch ein bisschen im Kontext: Karin Schiefer von der Austrian Film Comission hat 2001 in einem Interview behauptet, dass MEIN STERN einen ähnlichen Stil habe, wie andere Filme von der Filmakademie Wien damals. War diese dokumentarische Form ein Trend damals?

Man merkt schon, dass alle sehr unterschiedlich waren. Man merkt aber auch, dass wir alle ziemlich viel miteinander zu tun hatten und zusammengearbeitet haben. Das waren Jessica Hausner und Kathrin Resetarits und Barbara Albert. Man merkt vielleicht, dass wir uns viel unterhalten haben.

 

Wenn man den Film zur Berliner Schule sortiert, wie stehst du dazu?

(lacht) Zur Berliner Schule kann ich schon etwas erzählen... Ja super, dass der Film zur Berliner Schule zählt. Nein, ich glaube die Berliner Schule umkreist ja so viele Regisseure und Regisseurinnen, die halt damals nach Berlin gekommen sind oder zurückgekommen sind. Ich habe ja damals den Film gemacht und habe danach Christoph Hochhäusler und Jessica Hausner kennengelernt. Halt so viele, die ihren ersten oder zweiten Film gemacht haben. Und dann ging das halt so los, plötzlich. Für mich war das auch total toll nach der Zeit in Wien, zurück zu kommen und zu merken, dass alles ganz anders ist und ich lernte lauter Leute kennen, die ich davor nicht kannte. Filme von Angela Schanelec und Christian Petzold habe ich mir zum Beispiel, als ich mich hier an die DFFB geschummelt habe, immer angekuckt. Oder mir die Filme bei Bodo Knappheide oder Helene Schwarz ausgeliehen. Aber letztendlich gab es halt, aber das wissen ja auch alle, dieses Label "Berliner Schule". Das hat sich dann ja auch losgelöst und seinen eigenen Weg genommen, losgelöst von den Filmemachern. Grundsätzlich finde ich einfach alle diese anderen Filmemacher auch toll.

 

Wenn man SEHNSUCHT und WESTERN mit in Betracht zieht, scheint sich deine Arbeitsweise nicht wirklich verändert zu haben, oder?

Doch, wir versuchen natürlich bei jedem Mal zu gucken, wie kann es da noch weitergehen? Dann habe ich das erste Mal nicht auf Film gedreht, das war dann auch wieder anders, also so, dass man plötzlich ewig lange Takes drehen kann. Dass man dann kurz müde ist und eine halbe Minute mal kurz denkt, das läuft jetzt so und dann synchronisiert man sich wieder. Das hat mich jetzt schon beschäftigt; dieser Spannungsmoment, dass je mehr Material man laufen lassen kann, umso mehr ist man selber versucht, die ganze Zeit reinzusprechen. Plötzlich entsteht eine andere Interaktion, auch mit den Darstellern. Und das auf Film zum Teil auch wieder anders, dass man weiß: "Ok, das ist jetzt wieder sehr begrenzt", und man muss sehr sparsam umgehen. Das hat mich zum Beispiel beschäftigt oder auch Bernhard und mich: Wie verhalten wir uns mit der Kamera? – immer eine Frage von Kontrolle und Kontrollverlust. Es gibt viele Fragen, die sich immer wieder neu stellen, gerade mit der Wirkung, die man natürlich irgendwie erzählen möchte.

 

Zu den jungen Darstellern: Spricht man anders mit einer 15-jährigen als mit einem 40-jährigen?

Grundsätzlich eigentlich, auf eine gewisse Art und Weise, gleich. Auf der anderen Seite ist natürlich auch jeder Schauspieler wieder anders. Ich merke, dass jeder auch andere Bedürfnisse hat. Sowas wie Regie führen habe ich an der Filmhochschule nicht wirklich gelernt. Sondern eher das try & error, bei anderen mithören, gucken, wie die das machen oder ein Buch lesen, von daher habe ich dann sicherlich auch mal wieder so andere Sachen ausprobiert. Auch bei diesem Cast, hatte jeder ganz andere Bedürfnisse. Bei Nicole zum Beispiel, ihr war ich nie so richtig nah, die war sowieso sehr stoisch in ihrer ganzen Art und Weise. Und das war eigentlich ganz gut, dass wir doch immer eine gewisse Form von Distanz hatten und ich glaube das ist auch immer gleichgeblieben. Es ist schon wichtig den Leuten nahe zu kommen, es braucht eine Nähe, aber ich habe nicht das Gefühl mich mit ihnen anfreunden zu müssen, sondern, dass das auch von anderen Leuten übernommen wird. Und, dass ich sie angucke und wir zusammen einen Film machen, das ist eine extra Mischung.

 

Und könntest du dir vorstellen, als nächstes auch einen Film zu machen, wo du dich nicht in ein fremdes Milieu begibst, sondern in welchem du dein eigenes erkundest – etwas Autobiografisches sozusagen?

Diese Filme haben alle auch was Autobiografisches, bei jedem. Wahrscheinlich. Wenn man irgendetwas schreibt, hat es auch immer etwas mit einem selbst zu tun. Aber ja, kann sein, dass weiß man vorher nie.

 

[An dieser Stelle wird das Gespräch für das Publikum geöffnet.]

Ich wollte zum Casting fragen, weil du gesagt hast das war ein innerer Prozess, auch mit Nicole: Was hast du mit ihr gemacht, um dem Film nichts vorwegzunehmen oder, um die Magie in deinen Szenen beizubehalten?

Ich glaube vor allem hat Nicole, mit vielen anderen, zum Beispiel Gruppen-Szenen oder mit unterschiedlichen Jungen geprobt. Ich glaube, ich habe auch bei der Sache immer wieder Sachen aus der Geschichte geholt, was ich jetzt zum Teil auch anders machen würde. Es gab oft solche Momente, in denen es um Annäherung ging, Konflikte oder manchmal auch ganz alltägliche Geschichten. Was wichtig war, war diese Wohnung, in der wir gedreht haben. Die wurde eingerichtet und dann haben wir uns da immer in dieser Verbindung getroffen und haben dann da einfach ausprobiert mit den Freunden, mit der Schwester, mit der Mutter - eben so, dass sie sich auch diesen Ort aneignen. Ich kann mich jetzt leider so ganz im Detail nicht mehr erinnern, aber es waren schon alles Szenen, die dann letztendlich auch mit dem Film zu tun hatten. Wir haben eben auch nicht am Stück gedreht, sondern, dadurch, dass sie eben Schule hatten - ich glaube sie hatten einmal eine Woche Ferien, was eigentlich auch toll war - haben wir immer am Mittwoch gedreht und am Wochenende. Aber dadurch, dass wir auch produktions-technisch sehr mini aufgestellt waren, ging das ganz gut. In den Tagen dazwischen haben wir immer vorbereitet.

 

Habt ihr chronologisch gedreht? Oder versucht möglichst chronologisch zu drehen?

Ja, wir haben chronologisch begonnen und je weiter wir vorankamen, hatten wir die Möglichkeit nochmal zurück zu springen. Wir hatten auch eine Szene – da, wo die auf dem Fußboden rangeln – die hat überhaupt nicht funktioniert. Es gab dann auch Momente wo gesagt wurde: „Abbrechen, geht alle nachhause!“ oder wir haben dann irgendwas Anderes gemacht.

 

Die Darsteller kannten alle die komplette Geschichte? Oder habt ihr da teilweise improvisiert?

Die kannten alle das Buch.

 

Jeder hat irgendwie gelacht, anscheinend können die Leute sich wiederkennen. Ich wollte mal nach deinem Menschenbild fragen - es kommt mir alles so unzynisch vor.

Christoph Hochhäsuler und ich haben uns mal unterhalten. Christoph hat gesagt, er könne sich gar nicht vorstellen, dass ich mal so Filme mache, wo es so richtig böse Menschen gibt. Und danach war ich total niedergeschlagen. So ein Weichei bin ich. (alle lachen) Immer nur so kitschige Filme, die MEIN STERN und SEHNSUCHT heißen. Roland Klick hat mal gesagt, dass er seine Figuren nie als Opfer sieht - egal was ihnen passiert, was sie machen müssen. Das ist sehr eingängig für mich.

 

War es beabsichtigt von dir, dass man beim Sehen immer dachte, es könnte noch irgendetwas Schlimmes passieren? Ich habe immer drauf gewartet, so wie der Schöps manchmal guckt. Hattest du das auch im Sinn? Oder als sie da in die Disco geht, denkt man jetzt wird sie vielleicht vergewaltigt oder irgendwas. Aber ich fand das gut, weil da für mich auch so eine Spannung entstanden ist. Und ich fand letzten Endes gut, dass du dich dafür entschieden hast das nicht zu machen.

Das war jetzt nicht in dem Sinne kalkuliert.

 

Wie hast denn du die Darstellerinnen an die Drehsituation gewöhnt? Oder hast du es drauf ankommen lassen bis zum ersten Drehtag? Man hört da ja zum Teil das Filmmaterial durchrasseln - also man spürt diese Wand an Drehteam und merkt aber nichts.

Zum einen ist glaube ich diese Vorbereitungszeit sehr wichtig...

 

War die Vorbereitung denn die ganze Zeit mit Filmkamera?

Nee, die war immer mit einer kleinen Videokamera. Und wir haben dann damit angefangen immer mehr zu werden. Irgendwann kam Bernhard Keller [der Kameramann] dazu, dann jemand anderes – so, dass da plötzlich einfach mehr Leute sitzen. Das Gute war auch einfach an dieser Wohnung, dass sie so klein war, dass das so eine gedrängte, intime Situation war. Es war ganz schwer so eine Front überhaupt entstehen zu lassen, weil wir sowieso alle so eng aufeinander gehockt sind. Die Vorbereitungszeit war wichtig, das Team war auch klein, die das auch gesteigert haben.

 

Mich hat noch besonders beeindruckt und auch in Spannung versetzt, diese Sprachlosigkeit. Das hat man ja auch gemerkt, im Kino wurde auch unglaublich gelacht. Wie es Spannung erzeugt hat, da will man auch wieder so jung sein. Es hatte für mich wirklich auch so eine Tiefe, weil das so, wie er so hilflos war und so genau beobachtet. Und ich fand es so mutig auch, wie die Darsteller sich darauf eingelassen haben. Auch wie die Körper gesprochen haben und wie sie das genau beobachtet haben, mit den Blicken, ja wann, wer, wie guckt - das hat so viel erzählt.

Das haben sie immer, wenn sie gefragt wurden damals, was war das Schwerste, haben sie gesagt: Dieses Stehen und sich angucken. Schrecklich...

 

Du hast erwähnt, dass du nur ein Treatment geschrieben hast und kein Drehbuch. War das so geplant oder entstand das während des Prozesses? Wie bist du da vorgegangen?

Das war letztendlich nicht geplant, aber hat sich für mich als die beste Form erwiesen in diesem Suchen. Es war mühsam für mich dieses Drehbuch zu schreiben und ich hatte auch das Gefühl, dass mich die Drehbuch-Form an sich in irgendeiner Art blockiert. Alleine diese Ästhetik von diesem Drehbuch, diese Vorgaben dieses Drehbuches... Vielleicht ist es sogar eine visuelle Geschichte, ich weiß es nicht. Ich habe etwas gesucht, dass sich etwas offener anfühlt und ich merke auch jetzt, wenn ich arbeite, dass mich das eher total irritiert, wenn alles perfekt vorbereitet ist, dass ich eher das Gefühl hab, ich muss so ein bisschen künstliches Chaos stiften. Auch die anderen beiden Drehbücher oder Treatments [SEHNSUCHT und WESTERN] sehen eigentlich genau so aus.

 

Ich habe noch eine allgemeinere Frage dazu: Es gibt solche Veranstaltungen ja ganz oft nur zu aktuellen Filmen und wir sprechen hier ja von einem Film der schon ein paar Jahre alt ist. Deswegen würde mich mal interessieren, ob sich das Anschauen deiner Filme vom Gefühl her verändert hat? Also im zeitlichen Ablauf, ob sich das verändert. Hast du Erfahrungen gemacht, so dass du deine Filme jetzt anders siehst?

Ich habe MEIN STERN lange nicht gesehen. Es gibt schon immer noch so stellen, wo ich merke, ich tendiere aus dem Kino zu gehen. Bei MEIN STERN und SEHNSUCHT, da habe ich immer das Gefühl - so in der Mitte - dass es dramaturgische Schwachstellen gibt. Aber Grundsätzlich hat es mich bei MEIN STERN auch total gefreut den wieder zu sehen. Das Schöne ist ja, auch wenn das jetzt ein allgemeiner Satz ist, dass Filme irgendwie so ein Eigenleben haben.

 

Wie viel Budget hattet ihr?

Ich weiß es nicht mehr genau. Ich glaube es waren 30.000 Mark vom Fernsehen und wir hatten dann glaub ich von den Filmhochschulen vielleicht auch nochmal so 15.000 Mark oder so oder 20.000 und dann halt die Technik.

 

Ich habe noch eine pragmatische Frage. Die Länge - 60 Minuten - war das von vorneherein klar? Weil das ja eigentlich so ein relativ unbeliebtes Festival Format ist.

Das war klar!

 

Das war klar und das war dir dann relativ egal?

Also egal, ich hatte einfach das Gefühl, dass das die Länge ist.

 

Hast du jetzt nach dem Film noch eine Verbindung mit den Schauspielerinnen?

Jetzt habe ich sie schon seit einer Weile nicht mehr gesehen, leider... Vor ein paar Jahren habe ich Nicole mit ihren Schwestern getroffen. Die eine Schwester hat auch lange da am Alex in einer Bäckerei verkauft. Mittlerweile haben alle Kinder. Schöps ist relativ schnell verschwunden. Ich habe immer wieder versucht Kontakt mit ihm herzustellen, aber der hatte auch so eine andere Fallhöhe als Nicole - im Sinne von seinen Träumen und Erwartungen, gleichzeitig aber auch so eine dunklere Seite. Manche von denen sehe ich auch nochmal auf Entfernung in Mitte. Gerade jetzt ist mir Nicole wieder durch die Lappen gegangen. Es dauert dann wieder so zwei, drei Jahre, dann sehe ich sie hoffentlich wieder.

 

Hier im Kino wurde ja beim Schauen recht viel gedacht. War das von dir so geplant? Findest du den Film selber auch lustig?

Es kann wahrscheinlich schon unterschiedliche Dynamiken geben, aber es gab schon so ein paar Szenen, wo ich gehofft oder gedacht habe, die könnten Humor mit sich bringen. Es ist wichtig, dass der Film auch was über Lebendigkeit vermittelt oder über den Moment.

 

In deinen Filmen tauchen immer wieder Tanz-Szenen auf. Wie kommt das?

Ich mag sicherlich diesen Höhenmoment, diesen Art Star-Moment. Aber es war gar nicht unbedingt geplant - es hat mich eher ein bisschen verlegen gemacht - dass bei WESTERN am Ende wieder getanzt wird. Da war ich auch sehr unsicher, aber irgendwie berührt es mich wahrscheinlich auch. Aber es berührt ja viele. Es gibt ja immer wieder im Film so tolle Tanzszenen, es ist wahrscheinlich auch einfach ein sehr berührender Moment, wenn jemand tanzt.

 

Valeska, vielen Dank für das schöne Gespräch.

Danke auch!